Webseite des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

Gesundheitsrisiko Acrylamid: zum aktuellen Stand von Forschung, Wissenschaft und den behördlichen Maßnahmen zur Minimierung von Acrylamid

Schwedische Wissenschaftler berichteten im April 2002 über den Nachweis von Acrylamid in einer Vielzahl von Lebensmitteln. Es stellte sich heraus, dass besonders jene Lebensmittel, die einen hohen Eiweiß- oder Zuckeranteil aufweisen, durch starkes Erhitzen bei der Herstellung, hohe Mengen Acrylamid enthalten können.

Untersuchungen in Tierstudien haben gezeigt, dass Acrylamid bei hoher Dosierung im Futter die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Erbgutveränderungen und Tumoren erhöht. Deshalb gehört Acrylamid auch zu den unerwünschten Stoffen in Lebensmitteln. Die Wirkung von Acrylamid auf den Menschen ist jedoch nach wie vor nicht abschließend geklärt. Aus Gründen des vorsorgenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes sollte der Acrylamidgehalt in Lebensmitteln jedoch minimiert werden.

Vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher Studien und einer verbesserten Datenbasis zum Vorkommen von Acrylamid in Lebensmitteln erhielt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) von der Europäischen Kommission (EU) den Auftrag, eine vollständige Risikobewertung zu Acrylamid in Lebensmitteln durchzuführen. Das aktuelle Gutachten wurde im Juni 2015 von der EFSA veröffentlicht. Dieses Gutachten informiert zum einen über die Acrylamid-Aufnahme (Exposition), des Verbrauchers zum andern wird hier die toxikologische Wirkungsweise von Acrylamid untersucht.

Forschungsarbeiten untersuchten den Einfluss von Rohstoffen oder lebensmitteltechnologischen Faktoren auf die Acrylamidbildung. Hierbei konnten wichtige Erkenntnisse zu Prozess- und Zubereitungstechniken sowie weitere Einflussfaktoren wie z.B. der Auswahl und Lagerung von Rohstoffen gewonnen werden, was die Lebensmittelindustrie in die Lage versetzt, die Entstehung von Acrylamid weitgehend vermeiden oder auf ein unvermeidbares Minimum beschränken zu können. Aber auch Verbraucher können sich durch eigenes Handeln vor einer unerwünschten Acrylamidaufnahme schützen.

Zur Bewertung der Gesundheitsgefahr von Acrylamid

Die genaue Wirkung von Acrylamid auf den menschlichen Organismus ist bislang nicht abschließend geklärt. Experimentelle Studien an Labortieren zeigen, dass Acrylamid sowohl erbgutverändernd und krebserzeugend (karzinogen) wirken kann. Hierzu wird Acrylamid in der Leber zu Glycidamid umgewandelt, ein Stoff, der als erbgutschädigend und krebserregend eingestuft ist. Die in Tierstudien verabreichten Dosierungen liegen jedoch um ein Vielfaches über den üblichen Aufnahmemengen beim Menschen.

Zur Bewertung eines mögliches erhöhten Krebsrisikos für den Menschen hat die EFSA die derzeit verfügbaren Humanstudien ausgewertet: Aus der Gesamtheit der Studien konnte jedoch kein einheitliches Ergebnis abgeleitet werden: Während in einigen Studien ein erhöhtes Krebsrisiko beobachtet wurde, war dies in anderen Studien nicht der Fall. Aufgrund der uneinheitlichen Datenlage kamen die Sachverständigen der EFSA zu dem Schluss, dass ein Zusammenhang zwischen der Acrylamidaufnahme und einer Krebserkrankung beim Menschen weder angenommen noch ausgeschlossen werden kann.

Um dennoch anhand von Tierstudiendaten das Risiko der Krebsentwicklung für den Menschen beurteilen zu können, hat die EFSA Modellrechnungen zum Sicherheitsabstand durchgeführt. Dazu wendete sie als Bewertungskonzept den „Margin of Exposure“-Ansatz an. Dieses bestimmt den Sicherheitsabstand zwischen der anhand von Verzehrstudien berechneten Acrylamid-Aufnahmemenge des Verbrauchers über die Nahrung und einer im Tierversuch als gesundheitsschädlich festgestellten Acrylamid-Dosis. Die Modellrechnungen haben ergeben, dass dieser Abstand nicht ausreichend ist, um ein Gesundheitsrisiko für den Menschen auszuschließen. Da die lebensmittelbedingte Acrylamid-Aufnahme somit möglicherweise ein Gesundheitsrisiko darstellen könnte, sind aus Sicht des Risikomanagements weiterhin Anstrengungen erforderlich, um die Acrylamidgehalte in Lebensmitteln weiter zu minimieren.

Das können Verbraucher selbst tun

Für die Allgemeinbevölkerung sind im Wesentlichen zwei Acrylamid-Aufnahmequellen von Bedeutung: erstens der Konsum von Tabakprodukten, zweitens die Aufnahme acrylamidhaltiger Nahrungsmittel. Da die Acrylamidgehalte im Tabakrauch deutlich höher sind als in Lebensmitteln, nehmen Raucher folglich durchschnittlich mehr Acrylamid auf.

Doch auch in Lebensmitteln befinden sich unterschiedliche Acrylamidanteile, wie die EFSA durch eine im Jahr 2010 begonnene Untersuchung von mittlerweile 43.419 Lebensmittelproben aus 24 europäischen Ländern nachweisen konnte. Die höchsten Gehalte pro 100 Gramm oder pro Kilogramm finden sich durchschnittlich in Kaffee und Kaffeeersatzprodukte, gefolgt von Kartoffelchips bzw. Kartoffelsnackprodukten, frittierten Kartoffelerzeugnissen sowie Keksen und Knäckebrot.

Bei Kleinkindern, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen wurden frittierte Kartoffelerzeugnisse, Brot, Kekse und sonstige Produkte auf Kartoffel- oder Getreidebasis als die Lebensmittel identifiziert, die bei diesen Bevölkerungsgruppen den höchsten Beitrag zur lebensmittelbedingten Acrylamid-Aufnahme leisten. Bei Erwachsenen und älteren Personen stellen zusätzlich Kaffee und Kaffeeersatzprodukte Hauptaufnahmequellen für Acrylamid dar.

Da Acrylamid zu den unerwünschten Stoffen gehört, die bei der Zubereitung von Lebensmitteln unter hohen Temperaturen entstehen, können nicht nur Hersteller von Lebensmitteln zur Acrylamidreduktion beitragen, sondern auch die Verbraucher, die solche Lebensmittel (z.B. Kartoffelerzeugnisse) zu Hause braten, grillen, backen, frittieren oder rösten. Der Anteil an Acrylamid hängt hierbei stark vom erhitzungsbedingten Bräunungsgrad der betroffenen Lebensmittel ab: Je dunkler das Produkt, desto mehr Acrylamid enthält es. Daher gilt die Faustregel »vergolden statt verkohlen«: Bei Temperaturen unterhalb von 180 Grad entstehen deutlich geringere Mengen an Acrylamid als bei höheren Temperaturen. Des Weiteren sollten die Zubereitungsempfehlungen (insbesondere bezüglich Dauer und Temperatur des Erhitzungsprozesses) auf den Verpackungen beachtet werden. Was die ernährungsbedingte Exposition angeht, so ist generell zu empfehlen, die Ernährung möglichst ausgewogen und abwechslungsreich zu gestalten, weil sich dadurch die teilweise unvermeidliche nahrungsbedingte Aufnahme unerwünschter Stoffe am ehesten auf ein Minimum reduzieren lässt.

Was die Tipps für den Haushalt betrifft, um die Entstehung von Acrylamid so gering wie möglich zu halten, so hat die Bundeszentrale für Ernährung (BzfE) weitere hilfreiche Empfehlungen zusammengestellt.

Monitoring und Minimierung von Acrylamid in Lebensmitteln

Die Gehalte an Acrylamid in Lebensmitteln werden seit 2002 von der amtlichen Lebensmittelüberwachung in Deutschland regelmäßig untersucht. Ziel ist es, ein klares Bild zum Vorkommen von Acrylamid in den verschiedenen Lebensmitteln zu erhalten. Zudem wurde im Sinne des vorbeugenden Verbraucherschutzes in Deutschland vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im August 2002 ein Minimierungskonzept auf Basis der genannten Toolbox-Minimierungsstrategien etabliert. Dabei handelt es sich um ein pragmatisches Konzept, das auf einer freiwilligen Vereinbarung zwischen dem BVL, dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, den für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Landesbehörden sowie der Wirtschaft und ihrer Verbände basiert. Gemeinsames Ziel war dabei die sukzessive Reduktion der Acrylamid-Gehalte in Lebensmitteln. Die europäische Lebensmittel- und Getränkeindustrie verwendet die Toolbox der sie vertretenden Organisation FoodDrinkEurope. Diese Toolbox umfasst verschiedene Parameter („Tools“), die in vier Hauptkategorien zusammengefasst sind: Zubereitung, Rezeptur, Verarbeitung sowie agrarwissenschaftliche Faktoren. Lebensmittelhersteller können damit gezielt den Acrylamidgehalt in ihren Produkten minimieren.

Die zentrale Größe des Minimierungskonzeptes war der Signalwert, der als der niedrigste Wert der 10 Prozent an Lebensmitteln einer Warengruppe definiert wurde und auf Grundlage der von der amtlichen Lebensmittelüberwachung der Bundesländer übermittelten Acrylamid-Daten jährlich berechnet wurde. Im Falle einer Überschreitung des Signalwertes wurden seitens der zuständigen Landesbehörden Möglichkeiten zur Reduzierung des Acrylamid-Gehaltes eines Produktes erarbeitet. Die Anwendung dieser Minimierungsmaßnahmen führte dann zur Reduzierung des Acrylamid-Gehaltes des Produktes und die Summe der Minimierungsdialoge zur Absenkung des Signalwertes. Dadurch konnte der Acrylamid-Gehalt in Lebensmitteln kontinuierlich reduziert werden.

Beim Umgang mit Acrylamid gilt das ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable; so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar). Das heißt, die Acrylamidgehalte in Lebensmitteln sollten so niedrig sein wie es unter den gegebenen Produktionsbedingungen und nach guter landwirtschaftlicher Praxis möglich ist.

Parallel zur Datenerhebung und den Minimierungsmaßnahmen in Deutschland wurde auf EU-Ebene seit 2007 ein Acrylamid-Monitoring für bestimmte Warengruppen durchgeführt. Gemäß Empfehlung Nr. 2007/331/EG der EU-Kommission umfassen diese Warengruppen im Wesentlichen Kartoffelchips, Pommes Frites, Brot und andere Backwaren, Frühstückscerealien, Kaffee sowie Säuglings- und Kleinkindnahrung, da diese Lebensmittel aufgrund ihrer Zusammensetzung und Zubereitungsbedingungen potenziell höhere Acrylamidgehalte aufweisen können. Mit der EU-Empfehlung Nr. 2010/307/EU wurde die Datenerhebung über diesen Zeitraum hinaus verlängert. Anhand der von den EU-Mitgliedstaaten ermittelten Analyseergebnisse wurde bewertet, inwieweit die genannten technisch möglichen Maßnahmen zur Acrylamidminimierung effektiv in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Des Weiteren nahmen die EU-Kommission und die Experten der Mitgliedstaaten die Ergebnisse des EU-Monitorings zum Anlass, EU-weit gültige Acrylamid-Richtwerte auszuarbeiten. Die EU-Richtwerte wurden in den EU-Mitgliedstaaten im Zeitraum von 2011 bis 2017 als Orientierung zur Beurteilung der Acrylamidbelastung von Lebensmitteln angewandt und ersetzten in Deutschland die früheren nationalen Signalwerte. Nach dem Vorbild des früheren Signalwerte-Konzepts traten die Überwachungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten bei einer festgestellten Überschreitung des für die jeweilige Warengruppe geltenden EU-Richtwerts mit den betroffenen Herstellern in einen Minimierungsdialog, um gemeinsam zu prüfen, ob bzw. welche Änderungen an der Rezeptur oder am Herstellungsverfahren möglich sind, um eine weitere Minimierung der Acrylamidgehalte zu erzielen. Mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2017/2158 am 11. April 2018 gelten nunmehr jedoch EU-weit verbindliche Regelungen zur Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln.