Harmonisierte Risikoindikatoren
Hintergrund
Die Harmonisierten Risikoindikatoren (HRI) sollen die Fortschritte der Verwirklichung der Ziele der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln quantifizieren. Sie dienen der Umsetzung der Rahmenrichtlinie zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden (Richtlinie 2009/128/EC). Die Vorschriften zur EU-weit einheitlichen Berechnung der beiden HRI enthält Anhang IV der Richtlinie (EU) 2019/782.
Indikator 1 (HRI 1) basiert auf den jährlichen Verkaufsmengen von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen. Die Verkaufsmengen werden mit Faktoren gewichtet. Die Faktoren richten sich nach dem Status der Wirkstoffe entsprechend der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009:
- Gruppe 1, Faktor 1: Wirkstoffe mit geringem Risiko
- Gruppe 2, Faktor 8: genehmigte Wirkstoffe, die nicht zu Gruppe 1 oder 3 gehören
- Gruppe 3, Faktor 16: Substitutionskandidaten
- Gruppe 4, Faktor 64: nicht mehr genehmigte Wirkstoffe
Indikator 2 (HRI 2) basiert auf der Anzahl der national erteilten Notfallzulassungen pro Kalenderjahr. Die Wirkstoffe in den Mitteln mit Notfallzulassung werden gewichtet wie bei HRI 1.
Für beide HRI gilt das Folgende:
Der Genehmigungs-Status von Wirkstoffen kann sich im Lauf der Zeit ändern.
- Damit kann sich auch die Gewichtung ändern.
- Daher wird die gesamte Zeitreihe jedes Jahr rückwirkend neu berechnet.
- Sie werden auf ein Basisniveau von 100 bezogen.
- Das Basisniveau entspricht dem Mittelwert der Jahre 2011 bis 2013.
- Der Ausgangszeitraum von 2011 bis 2013 spiegelt den Beginn verstärkter Anstrengungen wider, die Verwendung und das Risiko von Pflanzenschutzmitteln insgesamt zu reduzieren. Mit dem gewählten Referenzzeitraum werden die erzielten Erfolge seit Inkrafttreten der Richtlinie und der Verordnung sowie diesbezüglicher nationaler Rechtstexte (Pflanzenschutzgesetz, Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung, Pflanzenschutz-Geräteverordnung etc.) angemessen berücksichtigt.
- Beide HRI stellen Trends dar. Trendverläufe werden durch Veränderungen der Indexwerte angezeigt. Aufgrund der Berechnungsmethoden können keine prozentualen Entwicklungen der Parameter aufgezeigt werden.
Die EU-Kommission errechnet die HRI für die gesamte EU; die Mitgliedstaaten jeweils für ihr Hoheitsgebiet. Die Ergebnisse werden jährlich veröffentlicht. Weitere Informationen zu den HRI und die EU-weiten Ergebnisse finden Sie auf der Internetseite der EU-Kommission.
Ergebnisse für Deutschland
HRI 1
Der HRI 1 wird berechnet, indem die jährlichen Verkaufsmengen der Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln mit der entsprechenden Gewichtung multipliziert werden. Anschließend werden die Ergebnisse aufsummiert. Der Referenzwert für den HRI 1 wird auf 100 festgelegt und entspricht dem durchschnittlichen Ergebnis der Jahre 2011-2013.
Quelle: (c) BVL
Die Entwicklung des HRI 1 zeigt insgesamt einen abnehmenden Trend seit 2011. Dazu trägt überwiegend bei:
- Bisher verwendete Wirkstoffe, die in den Referenzjahren genehmigt waren, sind zunehmend nicht mehr genehmigt und dürfen damit auch nicht mehr im Rahmen entsprechender Produktzulassungen verkauft werden. Das heißt, es werden verhältnismäßig mehr Produkte verkauft, die ein geringeres Risiko aufweisen.
- Nach vereinbarter Berechnungsmethode wird die Einstufung der Wirkstoffe in Gruppen entsprechend des aktuellen Genehmigungs-Status jedes Jahr rückwirkend für alle Jahre aktualisiert und der Indikator jährlich für die gesamte Zeitreihe neu berechnet.
- Die nicht mehr genehmigten Wirkstoffe werden sukzessive in die Gruppe 4 verschoben.
- Mengen der Gruppe 4 werden mit dem höchsten Faktor 64 gewichtet.
- Dadurch steigt die gewichtete Absatz-Summe in den Referenzjahren 2011 bis 2013 an, obwohl die Menge der verkauften Wirkstoffe im Berechnungszeitraum nur einen leicht rückläufigen Trend aufweist.
HRI 1, berechnet ohne Kohlendioxid
Der HRI 1 wird stark beeinflusst von den hohen Absatzmengen des inerten Gases Kohlendioxid (CO2). Kohlendioxid zählt zu den sonstigen Wirkstoffen (Gruppe 2), deren Mengen mit dem Faktor 8 in den HRI 1 eingehen. Deshalb und wegen der sehr hohen Mengen beeinflusst der Kohlendioxid-Absatz den HRI 1 besonders stark.
Kohlendioxid wird ausschließlich in geschlossenen Behältern oder Räumen, meist unter hohem Druck, zum Schutz von Vorratsgütern vor Insekten und Milben eingesetzt. Dazu werden verhältnismäßig große Mengen pro Tonne Vorratsgut benötigt. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland insgesamt 40.599 Tonnen Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln abgesetzt; davon 15.304 Tonnen Kohlendioxid (38 % Verkaufsanteil).
Kohlendioxid ist ein sehr reaktionsträger Stoff und bildet auch keine Rückstände in Lebensmitteln. Die Anwendung im Vorratsschutz stellt, bei Beachtung der Bestimmungen zum Schutz der Anwendenden, nur ein sehr geringes Risiko für Mensch und Umwelt dar.
In internationalen Pflanzenschutzmittel-Statistiken werden inerte Gase wie Kohlendioxid in der Regel nicht mitgezählt, weil sie in der Anwendungsweise und in ihrer Charakteristik eine Sonderstellung haben und oft gar nicht zu den Pflanzenschutzmitteln zählen. Deshalb wurde der HRI 1 zur Veranschaulichung zusätzlich ohne die Absatzmengen von Kohlendioxid berechnet:
Quelle: (c) BVL
Der Beitrag von Kohlendioxid zum HRI 1 wuchs stetig und erreichte 2020 ein Maximum von 36 %. Seit 2021 geht der Absatz von Kohlendioxid zurück. Die Summe des Absatzes der restlichen Wirkstoffe sank 2023 auf ein Minimum. Deshalb sinkt der CO2-bereinigte HRI 1 ebenfalls.
Detailanalyse des HRI 1-Trends
Quelle: (c) BVL
Bei der Gruppe „sonstige Wirkstoffe“ zeigt sich nach einem leichten Anstieg von 2019 zu 2020 wieder ein fallender Trend, der auf den allgemeinen Absatzrückgang von 2022 nach 2023 zurückzuführen ist. Die Gruppe „Substitutionskandidaten“ zeigt zwei Anstiege: von 2014 zu 2015 und von 2020 bis 2022. Diese beiden Gruppen enthalten die bei weitem größte Zahl der vermarkteten Wirkstoffe.
Bei den wenigen Wirkstoffen mit geringem Risiko dominieren aktuell Kaliumhydrogencarbonat (Fungizid) und Eisen-III-Phosphat (Molluskizid) die Entwicklung. Grund dafür ist, dass davon relativ große Mengen verkauft werden im Vergleich zu den anderen Wirkstoffen in dieser Gruppe. Kaliumhydrogencarbonat wird erst seit 2022 in der HRI-Gruppe 1 geführt, da die Entscheidung zur Einstufung als Wirkstoff mit geringem Risiko 2021 erfolgte. Durch diesen Gruppenwechsel, und wegen der vergleichsweise hohen Absatzmengen dieses Wirkstoffs in der Gruppe 1, wird deren Entwicklung in der Abbildung auf einer separaten Achse (rechts, grün) dargestellt. Da die Absatzmengen der Wirkstoffe mit geringem Risiko aber nur mit dem Faktor 1 gewichtet werden, ist ihr Einfluss auf den Gesamtindikator sehr gering.
Quelle: (c) BVL
Die Gruppe 2 „sonstige Wirkstoffe“ hat mit knapp 80 % Beitrag zum HRI 1 im Jahr 2023 den größten Einfluss; danach folgen die Wirkstoffe der Gruppe 3 „Substitutionskandidaten“ mit über 20 %.
Quelle: (c) BVL
Von den Wirkstoffen der Gruppe 3 stieg seit 2011 der Beitrag der Herbizid-Wirkstoffe Flufenacet, Diflufenican, Chlortoluron und Aclonifen zum HRI 1 an.
Der Beitrag von Wirkstoffen der Gruppe 4 „nicht (mehr) genehmigte Wirkstoffe“ sank von 54 % im Jahr 2011 auf unter 0,2 % im Jahr 2023. Der Hauptgrund für diesen Rückgang ist, dass bei der HRI-Berechnung die Zuordnung von Wirkstoffen jedes Jahr entsprechend dem aktuellen Genehmigungsstatus angepasst wird und dann auch rückwirkend für frühere Jahre gilt, als diese Stoffe noch genehmigt waren und in regulären Zulassungen verkauft wurden. Im Jahr 2022 gab es Notfallzulassungen mit folgenden nicht mehr genehmigten Wirkstoffen: Fenoxycarb, Quassia, Thiamethoxam und den Mikroorganismen Metarhizium brunneum Stamm CB15-III bzw. Bacillus thuringiensis subspecies tenebrionis Stamm NB 176. Die Verkaufsmengen der Wirkstoffe bei Notfallzulassungen waren und sind jedoch im Vergleich zur Gesamt-Verkaufsmenge aller Wirkstoffe sehr gering.
Quelle: (c) BVL
Über alle Jahre von 2011 bis 2022 gesehen dominieren Wirkstoffe mit hohen Absatzmengen und/oder hohem Gewichtungsfaktor den HRI 1. Die wichtigsten davon sind Kohlendioxid, Chlorthalonil (Genehmigungsende 20. Mai 2019), Glyphosat, Isoproturon (Genehmigungsende 30. Juni 2016), Fenpropimorph (Genehmigungsende 30. April 2019), Schwefel und Chlormequat.
Vertiefte Auswertemöglichkeiten des HRI 1 und einen Vergleich mit anderen Indikatoren bietet der Pesticide Trends Database Explorer des Julius Kühn-Instituts.
HRI 2
Der HRI 2 wird errechnet, indem die Anzahl der Notfallzulassungen im Kalenderjahr gewichtet wird mit dem Faktor der darin enthaltenen Wirkstoffe. Bei Notfallzulassungen von Pflanzenschutzmitteln mit mehreren Wirkstoffen zählt jeweils der Wirkstoff mit der höchsten Gewichtung. Die aggregierten Ergebnisse werden, wie beim HRI 1, bezogen auf den Referenzzeitraum der Jahre 2011 bis 2013.
Der HRI 2 basiert zurzeit allein auf der Anzahl der Notfallzulassungen und berücksichtigt nicht die zugelassenen Mengen und die behandelte Fläche. Die Zahl der Bescheide und der Notifizierungen der Notfallzulassungen an die EU hängt wesentlich davon ab, wann und für welche Zeiträume die Anträge gestellt werden und wie die Anwendungsgebiete formuliert sind. Selbst wenn in einem Jahr eine Notfallzulassung eines Mittels für dieselben Anwendungsgebiete, Menge und Fläche beantragt wird wie im Vorjahr, kann die Zahl der Bescheide abweichen, und damit auch die Datengrundlage für den HRI 2. Zur Verbesserung der Aussagekraft des HRI 2 sind künftig Anpassungen vorgesehen.
Quelle: (c) BVL
Hauptursache für den Rückgang des HRI 2 von 2022 zu 2023 ist, dass 2023 weniger Notfallzulassungen mit Wirkstoffen der höher gewichteten Gruppen 2, 3 und 4 erteilt wurden („Sonstige Wirkstoffe“, „Substitutionskandidaten“ bzw. „nicht (mehr) genehmigte Wirkstoffe“). Die Zahl der Notfallzulassungen mit Wirkstoffen mit geringem Risiko (Gruppe 1) bleibt weiterhin gering.
Quelle: (c) BVL
Quelle: (c) BVL
Die Zahl der Notfallzulassungen mit „nicht (mehr) genehmigten Wirkstoffen“ (Gewichtung 64) ging bis 2016 zurück, erreichte 2020 ein lokales Maximum und sinkt seitden wieder. In dieser Gruppe fehlt eine Differenzierung nach dem Risikopotential der Stoffe: Es wird nicht unterschieden, ob ein Wirkstoff nicht mehr genehmigt ist und aus welchem Grund, oder ob er noch nicht genehmigt ist – z. B. weil das Genehmigungsverfahren noch andauert – oder ob die Genehmigung gar nicht (erneut) beantragt wurde, etwa weil die Marktaussichten zu gering scheinen.
Von 2011 bis 2015 gab es für Pflanzenschutzmittel mit Wirkstoffen aus der Gruppe 4 neben dem Mikroorganismus Beauveria brongniartii Notfallzulassungen mit Alaun (=Aluminiumkaliumsulfat, Ersatz für Streptomycin zur Feuerbrand-Bekämpfung), Chlorphacinon, Chlorpyrifos (-methyl), Clothianidin, Deiquat, Dimethoat, Epoxiconazole, Fenoxycarb, Fipronil, Indoxacarb, Kupferoktanoat, Linuron, Pymetrozine, Streptomycin, Thiacloprid, Thiamethoxam und Thiram. Seit 2016 gab es Notfallzulassungen mit folgenden Wirkstoffen der Gruppe 4: diverse Mikroorganismen, Alaun, Asulam, Fenoxyarb, Indoxacarb, Iprodione, Mancozeb, Quassia, Thiamethoxam und Thiram. Wegen des hohen Gewichtungsfaktors 64 bestimmen Notfallzulassungen mit Wirkstoffen dieser Gruppe von 2011 bis 2021 maßgeblich die Entwicklung des HRI 2.
Notfallzulassungen mit Wirkstoffen der Gruppe 3 („Substitutionskandidaten“, Gewichtung 16) wurden von 2011 bis 2022 immer zahlreicher und gingen 2023 etwas zurück. Zu den Substitutionskandidaten mit häufigen Notfallzulassungen zählen aktuell z. B. diverse Kupferverbindungen, Cypermethrin, Fluopicolide und lambda-Cyhalothrin. Von 2016 bis 2020 war das Insektizid lambda-Cyhalothrin der Einzelwirkstoff, dessen Notfallzulassungen die Entwicklung des gesamten HRI 2 am stärksten prägten.
Die Zahl der Notfallzulassungen mit Wirkstoffen der Gruppe 2 („sonstige Wirkstoffe“, Gewichtung 8) stieg von 2013 bis 2020 kontinuierlich an, erreichte 2022 einen Höchststand und nahm 2023 wieder ab. Dominierend in dieser Gruppe waren 2023 Mittel mit den Insektizid-Wirkstoffen Cyantraniliprole und Flonicamid sowie den Fungizid-Wirkstoffen Metalaxyl-M, Fluopyram und Schwefelkalkbrühe.
Die vergleichsweise hohe Zahl an Notfallzulassungen mit Insektiziden kommt zustande, da besonders im Obstbau keine ausreichende Zahl von regulär zugelassenen Insektiziden mehr zur Verfügung steht. Diese Lücken werden dann über Notfallzulassungen geschlossen. Dies wirkt sich auch deshalb so stark auf den HRI 2 aus, weil dies häufig Notfallzulassungen mit Substitutionskandidaten sind, die mit dem zweithöchsten Faktor 16 gewichtet werden.