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Erwägungsgrund Antibiotikaresistenzen

Die Europäische Verordnung 2019/6 über Tierarzneimittel adressiert die Zulassung und das Inverkehrbringen von Antibiotika, ihre Anwendung beim Tier sowie die Erfassung von Abgabe- und Verbrauchsmengen. Wir möchten an dieser Stelle fortlaufend über die weitere Ausgestaltung und Konkretisierung der Verordnung durch Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte sowie über die Anpassung des nationalen Rechts informieren.

Mit der Verordnung (EU) 2019/6 über Tierarzneimittel (EU-Tierarzneimittel-Verordnung) wurden erstmals in allen EU-Mitgliedsstaaten unmittelbar geltende, harmonisierte Vorschriften zu Tierarzneimitteln erlassen. Einer der Erwägungsgründe war die weltweit und innerhalb der EU wachsende Antibiotikaresistenzproblematik, die aufgrund ihrer ernsthaften Konsequenzen für die Gesundheit von Mensch und Tier ein koordiniertes, Disziplinen-übergreifenden Vorgehen erfordert. Die EU-Tierarzneimittel-Verordnung regelt nicht nur die Zulassung und das Inverkehrbringen von Tierarzneimitteln, sondern unter anderem auch die Anwendung von Antibiotika beim Tier. Die Änderungen betreffen entsprechend nicht nur pharmazeutische Unternehmen und Behörden, sondern, durch ein mögliches Verbot bestimmter Wirkstoffe in der Tiermedizin und die Erfassung des Antibiotikaverbrauchs beispielsweise, ebenso auch Tierärztinnen und Tierärzte bei ihrer täglichen Arbeit in der Praxis. Die wichtigsten Änderungen sind in der folgenden Abbildung für Sie dargestellt:

Das Bild zeigt eine Grafik zu den Veränderungen der EU-Tierarzneimittel-Verordnung Änderungen EU-TAM-Verordnung Quelle: Wiese / BVL

Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte mit Bezug zur Antibiotikaresistenzproblematik

Verschiedene Regelungen der Verordnung, auch solche mit Bezug zur Antibiotikaresistenzproblematik, bedürfen einer weiteren Konkretisierung und Ausgestaltung auf europäischer Ebene sowie einer Anpassung des nationalen Arzneimittelrechts. Dies alles geschieht in den insgesamt drei Jahren, die zwischen dem Inkrafttreten der Verordnung und dem Beginn ihrer Gültigkeit ab dem 28.01.2022 liegen. Dies betrifft insbesondere Artikel 37 „Beschlüsse über die Ablehnung von Zulassungen“, welcher die Möglichkeit des Vorbehalts von antimikrobiellen Wirkstoffen für die Humanmedizin beinhaltet sowie Artikel 57 „Erhebung von Daten zu antimikrobiell wirksamen Arzneimitteln, die bei Tieren angewendet werden“.

Delegierter Rechtsakt - Artikel 37(4): Die Ausarbeitung von Kriterien für die Festlegung antimikrobieller Wirkstoffe, die der Humanmedizin vorbehalten sind

Der Bericht (Advice on implementing measures under Article 37(4) of Regulation (EU) 2019/6 on veterinary medicinal products – Criteria for the designation of antimicrobials to be reserved for treatment of certain infections in humans) ist auf den Seiten der KOM und der EMA publiziert und beinhaltet einen Überblick über relevante Kriterien und Maßnahmen, die auf diesem Gebiet bereits von Europäischen Mitgliedsstaaten, von Drittländern und auf internationaler Ebene erarbeitet und umgesetzt wurden. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung von Kriterien, die gemäß Artikel 107(6) der Verordnung (EU) 2019/6 zur Erstellung eines Verzeichnisses antimikrobieller Arzneimittel herangezogen werden sollen, für die die Umwidmung verboten oder nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist, empfiehlt EMA folgende Kriterien:

1. Hohe Bedeutung des antimikrobiellen Wirkstoffs für die Humangesundheit:

  • der antimikrobielle Wirkstoff / die antimikrobielle Klasse ist die einzige therapeutische Alternative oder eine essentielle Komponente weniger Alternativen, die für die Behandlung von schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Infektionen beim Menschen zur Verfügung stehen, welche unter ungeeigneter Therapie zu erheblicher Mortalität oder langanhaltenden bzw. dauerhaften Einschränkungen führen würden, oder
  • der antimikrobielle Wirkstoff ist in der EU für die Behandlung von schwerwiegenden bakteriellen Infektionen mit begrenzten therapeutischen Alternativen (in Bezug auf Resistenz) zugelassen

2. Risiko des Resistenztransfers

  • Die Übertragung von Bakterien die gegenüber dem antimikrobiellen Wirkstoff / der antimikrobiellen Klasse resistent sind oder die Übertragung von entsprechenden Resistenzgenen von nicht-humanen Quellen auf den Menschen ist gegeben und ist mit dem Einsatz des antimikrobiellen Wirkstoffs / der antimikrobiellen Klasse bei Tieren verbunden
  • Daten zeigen Auftreten, Verbreitung und Übertragung von Resistenz gegenüber dem antimikrobiellen Wirkstoff / der antimikrobiellen Klasse

3. Geringe Bedeutung des antimikrobiellen Wirkstoffs für die Tiergesundheit

  • Der antimikrobielle Wirkstoff / die antimikrobielle Klasse ist nicht essentiell für die Behandlung von schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Infektionen bei Tieren, welche unbehandelt zu erheblicher Morbidität und/oder Mortalität führen würden
  • es stehen therapeutische Alternativen für die Behandlung solcher Infektionen für Tiere zur Verfügung
  • ein Verbot des antimikrobiellen Wirkstoffs / der antimikrobiellen Klasse hat keine bedeutenden Auswirkungen auf Tierwohl, Tier- oder Humangesundheit, da alternative Managementstrategien zur Kontrolle, Ausbreitung und Behandlung solcher Infektionen vorhanden sind
    Zusammengefasst spricht EMA folgende Empfehlung aus: Ein humanmedizinischer Vorbehalt liegt dann vor, wenn ein antimikrobieller Wirkstoff von höchster Bedeutung für die Humangesundheit ist, für den das Risiko der Resistenztransfers erheblich ist und der von geringer Bedeutung für die Tiergesundheit ist.
    Darüber hinaus wird im Bericht erörtert, wie die empfohlenen Kriterien basierend auf dem jeweiligen Zulassungsstatus in der EU (antimikrobieller Wirkstoff / antimikrobiellen Klasse (i) nur in Humanmedizin zugelassen, (ii) nur in Veterinärmedizin zugelassen), (iii) in Human- und Veterinärmedizin zugelassen, (iv) in Human- und Veterinärmedizin nicht zugelassen) angewendet werden können. Zu diesem Zweck wurden Flussdiagramme mit Erläuterungen erstellt, mittels der durch den Entscheidungsprozess navigiert werden soll.

Delegierter Rechtsakt - Artikel 57(3): Festlegung spezifischer Anforderungen für die Erhebung von Daten über antimikrobielle Arzneimittel, die bei Tieren angewendet werden

Die Grundlage für diesen delegierten Rechtsakt ist Artikel 57(3) in Verbindung mit Artikel 147 der Verordnung (EU) 2019/6. Gemäß Artikel 153(4) soll der delegierte Rechtsakt zu Artikel 57(3) spätestens zum 27. Januar 2021 seitens der KOM erlassen werden und spätestens zum 28. Januar 2022 Gültigkeit erlangen. Die folgenden drei Punkten sollen in diesem Rechtsakt festgelegt werden:

  1. Die Arten von bei Tieren angewendeten antimikrobiell wirksamen Arzneimitteln, für die Daten zu erheben sind;
  2. Die von den Mitgliedsstaaten und der Agentur einzuführende Qualitätssicherung, um die Qualität und die Vergleichbarkeit der Daten sicherzustellen;
  3. Die Vorschriften für das Verfahren zur Erhebung von Daten von bei Tieren angewendeten antimikrobiell wirksamen Arzneimitteln und für das Verfahren zur Übermittlung dieser Daten an die Agentur.

Zusätzlich wird das Format der Daten in einem Durchführungsrechtsakt gemäß Artikel 57(4) festgelegt. Am 06. Februar 2019 hat die KOM die EMA um wissenschaftliche Empfehlungen für den delegierten Rechtsakt gebeten. Die EMA hat ihre wissenschaftlichen Empfehlungen in einem Bericht am 30. August 2019 an die KOM versendet. Dieser kann auf der Internetseite der EMA und der KOM abgerufen werden. Der Bericht der EMA beinhaltet u.a. die im nachfolgenden Text zusammenfassend dargestellten Punkte.

Überblick über die wissenschaftliche Empfehlungen der EMA zu Artikel 57(3)

1. Die Arten von bei Tieren angewendeten antimikrobiell wirksamen Arzneimitteln, für die Daten zu erheben sind

Die EMA schlägt vor, die Arzneimittel anhand der ATC bzw. ATCvet -Code Klassifikationssysteme zu identifizieren. Des Weiteren schlägt die EMA vor, dass für die Abgabemengen nur Tierarzneimittel berücksichtigt werden sollen. Verpflichtend sollen die Abgabemengen für alle Antibiotika, inklusive der Antiprotozoika mit antibakterieller Wirkung und antimykobakterieller Tierarzneimittel zur intramammären Anwendung, erhoben werden. Auf freiwilliger Basis können die weiteren Antiprotozoika, topische und systemische Antimykotika, systemische antimykobakterielle Tierarzneimittel und systemische Virostatika erfasst werden. Bei der Verbrauchsmengenerfassung wird empfohlen, sowohl Tier- als auch Humanarzneimittel zu erfassen. Entsprechend der Empfehlungen soll die Erfassung aller Antibiotika mit Ausnahme der Ophthalmologika, der „topischen“ Antibiotika, der antimykobakteriellen Arzneimittel und der „sonstigen nasalen Präparate“ bei der Verbrauchsmengenerfassung verpflichtend sein, während die Erfassung der aufgezählten Ausnahmen, der Antiprotozoika, der Antimykotika und der systemischen Virostatika auf freiwilliger Basis erfolgen kann.
Da der Artikel 57(5) einen stufenweisen Aufbau der Verbrauchsmengenerfassung nach Tierarten vorsieht, hat die EMA ebenfalls Empfehlungen zu den zu erfassenden Tierarten verfasst. So soll bis spätestens Januar 2023 mit der Erfassung der Daten für die Tierarten Rind, Schwein und Huhn sowie Pute begonnen werden. Ab Januar 2026 sollen auch die Verbrauchsmengen für Enten, Gänse, Schafe, Ziegen, Fische, Pferde, Lebensmittel liefernde Kaninchen sowie alle anderen Lebensmittel liefernden Tiere erfasst werden. Die Erfassung der Verbrauchsmengen für Hunde, Katzen und Pelztiere (Füchse, Nerze) soll ab Januar 2029 erfolgen.

2. Die von den Mitgliedsstaaten und der Agentur einzuführende Qualitätssicherung, um die Qualität und die Vergleichbarkeit der Daten sicherzustellen

Zur Sicherstellung der Datenqualität und der Vergleichbarkeit von Daten wird empfohlen, dass die Mitgliedsstaaten die Daten zunächst validieren. Daher empfiehlt die EMA die Einrichtung eines aktiven Datenqualitätsmanagementsystems, so dass die minimalen Qualitätsanforderungen an die Daten eingehalten werden müssen. Wichtige Punkte sollen sein: Vollständigkeit (completeness), Datengenauigkeit (accuracy), Korrektheit (correctness), Datengültigkeit (validity) und Datenverlässlichkeit (reliability). Entsprechend sollen noch Anleitungen, Protokolle und Vorlagen erarbeitet werden.

3. Die Vorschriften für die Verfahren zur Erhebung von Daten bei der Anwendung von bei Tieren angewendeten antimikrobiell wirksamen Arzneimitteln und für das Verfahren zur Übermittlung dieser Daten an die Agentur

Da die Datensammlungspunkte bei Abgabe- (z.B. Zulassungsinhaber, Großhändler, Tierärzte) und Verbrauchsmengen (z.B. Tierarzt, landwirtschaftlicher Betrieb) zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten variieren können, empfiehlt die EMA, die Daten in den Mitgliedsstaaten nur an festgelegten Datensammelpunkten zu erheben. So können alle notwendigen Daten gesammelt werden, während Doppelmeldungen vermieden werden. Die EMA empfiehlt zur Erhebung der Verbrauchsmengen die Einrichtung eines kontinuierlichen (semi-)automatischen Datenerfassungssystems, mit dem eine Evaluierung der Antibiotikaanwendung auf Betriebsebene möglich ist (siehe auch Art. 57(1). Laut Empfehlungen der EMA sollen die Daten auf nationaler Ebene aggregiert und elektronisch an die EMA weitergeleitet werden. Gemeldet werden soll die Anzahl der Packungen per Packungsgröße pro festgelegter Tierart oder Produktionsrichtung. Der Datenerfassungszeitraum für Abgabe- und Verbrauchsmengen soll gemäß der Vorschläge der EMA jeweils ein Kalenderjahr betragen.

Durchführungsrechtsakt - Artikel 57(4): Festlegung der Datenformate für die Abgabe- und Verbrauchsmengenerfassung von antimikrobiellen Arzneimitteln bei Tieren

Die KOM hat am 01. Juli 2019 die EMA um wissenschaftliche Empfehlungen zum Durchführungsrechtsakt nach Artikel 57 (4) der VO (EU) 2019/6 gebeten. In diesem Durchführungsrechtsakt werden die Datenformate für die Abgabe- und Verbrauchsmengenerfassung von antimikrobiellen Arzneimitteln festgeschrieben. Der Durchführungsrechtsakt soll bis spätestens zum 28. Januar 2022 von der KOM erlassen werden. Am 30. Juni 2020 wurden die wissenschaftlichen Empfehlungen der EMA an die KOM gesendet. Diese wurden auf der Internetseite der EMA und der KOM veröffentlicht.


Überblick über die wissenschaftlichen Empfehlungen der EMA
zu Artikel 57(4)

1. Datenformate für die Abgabe- und Verbrauchsmengenerfassung

Der Bericht an die KOM beinhaltet eine Beschreibung der zu erfassenden Daten und der notwendigen Datenformate. Dabei ist zu beachten, dass später in dem Durchführungsrechtsakt die Daten definiert werden, die an die EMA gemeldet werden sollen. Dies schließt nicht aus, dass die Mitgliedsstaaten für z.B. Benchmarking- Programme auf nationaler Ebene zusätzliche Daten erheben können, die dann nicht an die EMA gemeldet werden müssen. Die an die EMA zu meldenden Variablen sind in der untenstehenden Tabelle aufgezählt. 

Zu meldende Variablen an die EMAAbgabemengenVerbrauchsmengenerfassung
Tierspezies X
ISO-LändercodeXX
ErfassungsjahrXX
Identifikation des ProduktesXX
Identifikationsnummer der PackungsgrößenXX
Name des TierarzneimittelsXX
Pharmazeutische FormXX
Identifikation langwirksamer Injektionslösungen X
PackungsgrößeXX
PackungsgrößeneinheitXX
ATCvet CodeXX
Zulassung nur für nicht-lebensmittelliefernde TiereX 
Anzahl abgegebener PackungenX 
Anzahl verwendeter Packungen X
WirkstoffXX
ggf. Salz des WirkstoffesXX
ggf. Derivat des WirkstoffesXX
WirkstoffstärkeXX
Maßeinheit WirkstoffstärkeXX

2. Formate für zusätzliche Daten für die Validierung

Um eine bessere Validierung der Daten zu ermöglichen, sollen gemäß der Empfehlungen der EMA zusätzliche Daten erfasst werden. Dazu zählen bei den Abgabemengen die Angabe über die Datenquelle (z.B. Pharmazeutisches Unternehmen, Großhändler etc.), die Anzahl an Datenquellen sowie die zuständige Stelle für die Datenerfassung. Des Weiteren soll angegeben werden, ob Doppelmeldungen durch Pharmazeutische Unternehmen und Großhändler ausgeschlossen wurden. Auch soll der Anteil der parallelgehandelten Produkte erfasst werden.

Gemäß der Empfehlungen der EMA sind bei der Verbrauchsmengenerfassung der Datentyp (z.B.  Verschreibung, Bestandsbuch etc.) sowie die Datenquelle (z.B. Tierarzt, landwirtschaftlicher Betrieb) zu benennen. Des Weiteren soll hier ebenfalls die zuständige Stelle für die Datenerfassung angegeben werden.

3. Datenformate zur Erfassung der Tierzahlen

Damit die Daten über die Jahre und zwischen den Ländern vergleichbar sind, sollen gemäß der Empfehlungen der EMA auch Daten zu den Tierpopulationen erfasst werden. Entsprechende Daten für Rinder, Schweine, Geflügel, Schafe, Ziegen und Flossenfische sollen von Eurostat und Traces übernommen werden. Bei Flossenfischen kann auch die Verwendung von nationalen Daten notwendig sein, sofern entsprechende Daten für einzelne Länder nicht in Eurostat vorhanden sind. Die Daten für Pferde, Kaninchen, Hunde, Katzen, Nerze und Füchse müssen nationalen Statistiken entnommen werden. Im Regelfall sollen die erfassten Tierzahlen gemeldet werden. Eine Ausnahme bilden die Flossenfische, da hier die Biomasse in Tonnen angegeben werden soll.