Risikobewertung von beantragten Freisetzungsvorhaben

Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 4 Gentechnikgesetz (GenTG) ist einem Antrag auf Genehmigung einer Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) eine Risikobewertung nach § 6 Abs. 1 GenTG sowie eine Darlegung der vorgesehenen Sicherheitsvorkehrungen beizufügen. Das BVL prüft dann, ob Leben und Gesundheit von Menschen, die Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge, Tiere, Pflanzen und Sachgüter durch die geplante Freisetzung gefährdet sein könnten. Zudem haben die Antragsstellenden gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 4a GenTG einen Plan zur Ermittlung der Auswirkung des freizusetzenden Organismus auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt – auch Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) genannt – vorzulegen.

Was ist das Ziel einer Risikobewertung bei Freisetzungen?

Das Ziel einer UVP ist es, von Fall zu Fall etwaige direkte, indirekte, sofortige oder spätere schädliche Auswirkungen von GVO auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt, die bei der absichtlichen Freisetzung von GVO auftreten können, zu ermitteln und zu evaluieren. Die UVP wird gemäß Anhang II der Richtlinie 2001/18/EG basierend auf den Informationen durchgeführt, welche nach Anhang III derselben Richtlinie mit einem Antrag eingereicht werden müssen. In diesem Zusammenhang ist für GVO, die keine höheren Pflanzen sind, Anhang III A einschlägig, während für gentechnisch veränderte höhere Pflanzen Anhang III B zu berücksichtigen ist. Die UVP dient dazu, festzustellen, ob ein Risikomanagement notwendig ist und, wenn ja, welches die geeignetsten Methoden sind.

Auf welcher Grundlage erfolgt die Risikoabschätzung?

Im Fall von gentechnisch veränderten höheren Pflanzen (GVP) - die den Großteil der bisher in Deutschland freigesetzten GVO ausmachen - ist die Grundlage für diese Sicherheitsbewertung das Wissen über die unveränderte Ausgangspflanze, über die Wirkung der gentechnischen Veränderung und über das Verhalten der GVP. Diese Informationen gewinnt das BVL aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen und aus den Ergebnissen und Beobachtungen von Vorversuchen mit den GVP in gentechnischen Anlagen (Labor oder Gewächshaus). Auch Erkenntnisse aus den Freisetzungen ähnlicher Organismen oder Organismen mit ähnlichen Merkmalen können zur Bewertung herangezogen werden.

Die meisten Freisetzungen werden mit Kulturpflanzen durchgeführt, deren Biologie bekannt ist und in vielen Fällen sind auch Herkunft, Vorkommen und Verbreitung sowie die Funktion der Gene, die mit gentechnischen Verfahren übertragen werden, gut erforscht. Man kann daher ihr Gefahrenpotential im Rahmen der beantragten Freisetzung fundiert bewerten und auch einschätzen, inwieweit diese Gene oder ihre Produkte (Proteine) den Stoffwechsel der Pflanzen beeinflussen können. Durch Eingriffe in den Stoffwechsel kann es in den GVP zur Bildung neuer Inhaltsstoffe oder zu Veränderungen des Gehalts bereits vorhandener Inhaltsstoffe kommen. Das BVL bewertet dann, ob sich diese Veränderungen bei einer Freisetzung negativ auf andere Organismen in der Umwelt auswirken können.

Bei der Risikobewertung wird auch bewertet, ob das Verhalten der Pflanzen in der Umwelt durch die gentechnische Veränderung negativ beeinflusst werden könnte. Beispielsweise könnte die GVP durch eine erhöhte Frostresistenz in der Umwelt besser überleben. Auch hier erlauben die Kenntnisse über die Biologie der Empfängerpflanzen und die Funktion der neu übertragenen Gene in den meisten Fällen bereits eine gute Einschätzung des Umweltverhaltens, bevor die gentechnisch veränderten Pflanzen zum ersten Mal ins Freiland gelangen.

Welche Schritte werden bei der Risikobewertung von Freisetzungen durchlaufen?

Die konkreten Schritte bei einer UVP werden im Folgenden beschrieben und sind hier grafisch dargestellt:

Schritte der UVP Quelle: BVL

 

Zunächst wird von den Merkmalen des GVO und der Freisetzung ausgegangen, wobei insbesondere der Empfänger- oder Elternorganismus, die gentechnische Veränderung, Informationen über Vektor und Spenderorganismus, das Aufnahmemilieu sowie Bedingungen und Umfang der Freisetzung berücksichtigt werden.

Anschließend werden systematisch alle mit der gentechnischen Veränderung in Verbindung stehenden Merkmale des GVO ermittelt, die schädliche Auswirkungen haben könnten, also möglicherweise ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder Umwelt darstellen.

Dazu werden die etwaigen schädlichen Auswirkungen der relevanten Merkmale von GVP mit denen der ihnen zugrundeliegenden, unveränderten Pflanzen (Empfängerpflanzen) in einer entsprechenden Situation verglichen („vergleichende Risikobewertung“).

Wesentliche Punkte der Risikobewertung sind:

  • Auswirkungen der neu eingeführten Gene bzw. ihrer Genprodukte auf die Eigenschaften der Pflanze wie gesteigerte Persistenz der GVP in landwirtschaftlichen Lebensräumen oder gesteigerte Invasivität in natürlichen Lebensräumen, Vor- oder Nachteile bei der Selektion
  • Auswirkungen auf Menschen oder Nichtzielorganismen
  • Gentransfer auf andere Pflanzen durch Pollen (“vertikaler Gentransfer“)
  • Gentransfer auf Mikroorganismen (“horizontaler Gentransfer“)

Im nächsten Schritt folgt eine Bewertung der möglichen Folgen der schädlichen Auswirkungen für den Fall, dass diese eintreten. Hier fließen Informationen zu den Freisetzungsbedingungen und der Umwelt, in die freigesetzt werden soll, ein.

Gleiches gilt auch für die Bewertung der Wahrscheinlichkeit des Auftretens der einzelnen möglichen schädlichen Auswirkungen. Eine Bewertung der Wahrscheinlichkeit kann beispielsweise im Sinne von „groß“, „mäßig“, „gering“ und „zu vernachlässigen“ erfolgen (Leitlinien zu Anhang II der RL 2001/18).

Wie werden ermittelte mögliche Risiken gehandhabt?

Für jedes der ermittelten Merkmale der GVP, das schädliche Auswirkungen haben kann, wird das Risiko für die menschliche Gesundheit oder Umwelt eingeschätzt. Dabei wird sowohl die Wahrscheinlichkeit des Eintretens als auch das Ausmaß der Folgen im Falle des Eintretens berücksichtigt. Die Risikoabschätzung sollte auch die spezifischen Bedingungen des jeweiligen Freisetzungsstandorts berücksichtigen. Unsicherheiten bei der Risikoermittlung müssen angemessen berücksichtigt werden.

Für ein Management der ermittelten Risiken können dann geeignete Maßnahmen, die das Risiko minimieren, festgelegt werden. Die Maßnahmen zum Risikomanagement sollen im Verhältnis zu der Größe des ermittelten Risikos und der bestehenden Unsicherheiten stehen.

Unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Strategien für das Risikomanagement erfolgt abschließend eine Bewertung des Gesamtrisikos, das von der Freisetzung ausgeht.